Kürzlich erschien auf wuv.de ein Beitrag von Tom Alby mit dem Titel „Warum Personas oft nicht funktionieren“. Tenor: Das Persona-Konzept ist aus dem Ruder gelaufen. Marketing- oder Agenturmitarbeiter denken sich fiktive Vertreter der Zielgruppen-Segmente aus, die auf ihrem Bauchgefühl oder auf „anekdotischer Evidenz“ basieren, nicht aber, wie von Persona-Erfinder Alan Cooper gedacht, auf Interviews mit „echten Menschen“.
Zielgruppen-Illusion
Das Problem dahinter ist eines, dem wir in unserer Arbeit ständig begegnen. Wenn eine Content-Marketing-Strategie her soll, ist unsere erste Frage: „Kennen Sie Ihre Zielgruppen?“ Die Antwort lautet fast immer „Ja“. Tatsächlich gibt es auch meist „Zielgruppendefinitionen“ nach dem Muster „Entscheider“, „IT-Leiter“, „Abteilungsleiter in mittleren und großen Unternehmen“ etc. Und manchmal hat man dafür auch Personas. Genauer: Man hat für die definierten Zielgruppen ein paar demografische und persönliche Merkmale spezifiziert: Heißt Cosma, ist weiblich, zwei Kinder, ist 40 Jahre alt, extrovertiert, liebt Schuhe und Heavy Metal. Was man leider nicht von Cosma weiß, ist, was sie braucht: Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus? Mit welchen Herausforderungen ist sie konfrontiert? Was freut sie und was nervt sie, und welches ihrer täglichen Probleme kann womöglich mit Hilfe unserer Produkte gelöst oder erleichtert werden?
Personas ersetzen nicht Wissen
Personas sind zweifellos nützlich. Bei Cooper fungierten sie als Werkzeuge für zwei Dinge: Produktdesigner nutzten sie, um sich zukünftige Anwender vorzustellen, sich mit ihnen zu identifizieren und das neue Produkt besser auf ihre Bedürfnisse zuzuschneiden. Und Cooper, der als Berater zuvor mit potenziellen Anwendern gesprochen hatte, konnte diesen Designern mit Hilfe von Personas seine Ideen besser vermitteln. Sie halfen ihm, seine Kunden zu überzeugen.
Die gleiche Fähigkeit, durch Anschaulichkeit zu überzeugen, kann aber auch nach hinten losgehen. Das Erfinden von Personas verstärkt dann die „Zielgruppen-Illusion“: die Überzeugung, man kenne seine Zielgruppen, weil man sie definiert hat. Für erfolgreiches (Content-)Marketing braucht es aber mehr. Es braucht belastbare und detaillierte Informationen über die Adressaten und ihre Probleme (ihre „Pain Points“).
Wo kommen diese Informationen her? Mit Berufung auf Cooper plädiert Alby für „Interviews mit echten Menschen“, die das Marketing (oder die Agentur) führen soll. Was aber, wenn dafür Zeit und Geld fehlen? Alby sieht das Problem, aber keine Alternative.
Infos aus den Köpfen holen
Wir haben dagegen die Erfahrung gemacht, dass es alternative Wege gibt, die aber oft nicht leicht zu gehen sind. Häufig sind die benötigten Informationen im Unternehmen schon vorhanden. Sie stecken oft in den Köpfen von Kollegen aus anderen Abteilungen. Zum Beispiel sprechen Vertrieb oder Support regelmäßig mit Kunden und Interessenten. Und eigentlich sollten ja bereits fürs Produktdesign die konkreten Bedürfnisse der Zielgruppen analysiert worden sein. Deshalb plädieren wir dafür, spätestens bei der Festlegung der Botschaften für das Content-Marketing solche Kollegen hinzuzuziehen. Das ist nicht immer leicht und geschieht optimalerweise im Rahmen eines moderierten Workshops. Ziel ist es, das verfügbare Wissen über potenzielle Kunden in die Zielgruppenbeschreibung (und bei Bedarf gern in die Personas) einfließen zu lassen. So wird möglich, was erfolgreiches Content-Marketing braucht: relevante Inhalte, die den Adressaten wirklich interessieren.
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